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Zeit hat man nicht - Zeit nimmt man sich

Ein weit verbreitetes Phänomen in unserer Gesellschaft ist das Gefühl, nicht genügend Zeit zu haben. Ob ich an einem Projekt in einem Unternehmen arbeite, mit meinen besten Freundinnen zu einem Kaffeeklatsch verabredet bin, mich mit der Nachbarin beim Einkaufen austausche oder um Auskunft bei einer Hotline bitte – immer wieder höre ich den Satz: „Ich habe zu wenig Zeit.“


Diese Aussagen sind nachvollziehbar: Oft werden Projektfristen gesetzt, ohne unvorhergesehene Ereignisse zu berücksichtigen, und die Mitarbeiter müssen die Projekte neben ihrem täglichen Geschäft bewältigen. Viele meiner Freundinnen sind berufstätige Mütter, führen ein aktives Sozialleben und engagieren sich zudem in sozialen Medien. Auch die Kennzahlen bei Hotlines sind häufig an die Anzahl der Anrufe und die schnelle Problemlösung gekoppelt, was bedeutet, dass ich als Kunde nur begrenzte Zeit zur Verfügung habe.


Die Folgen sind gravierend: Ausgebrannte und unmotivierte Mitarbeiter sowie Führungskräfte, die mit Krankheitsausfällen und Burnout reagieren. Im privaten Umfeld zeigt sich ein ähnliches Bild: Äußerlich als „Übermenschen“ wahrgenommen, sind viele innerlich gestresst und unausgeglichen, ständig unter Druck und gedanklich bereits beim nächsten Thema.


Ob im beruflichen oder privaten Bereich – wenn ich innehalte und einfach nur zuhöre, höre ich immer wieder die gleiche Antwort: „Zeit hat man nicht – Zeit nimmt man sich.“


Seien wir ehrlich: Wenn wir uns im Arbeits- oder Privatleben nicht die Zeit nehmen, die wir benötigen, sind die Auswirkungen offensichtlich. Projektfristen müssen verschoben werden, Familien benötigen Unterstützung durch eine Nanny, und Hotlines haben hohe Rekrutierungskosten, weil Mitarbeiter abspringen. Was jedoch oft zu spät erkannt wird, sind die zwischenmenschlichen Beziehungen, die Wertschätzung der Mitarbeiter, die eigene innere Balance und letztlich die Gesundheit.


Das Sich-Zeit-Nehmen scheint ein gesellschaftliches Problem zu sein. Wenn Führungskräfte keine übervolle Agenda haben, könnte dies den Eindruck erwecken, dass sie nicht so wichtig sind, wie sie dachten. Wenn eine Mutter beim Kaffeeklatsch fehlt oder nur Teilzeit arbeitet, wird sie oft als „nicht organisiert“ oder „nicht belastbar“ wahrgenommen. Ähnlich ergeht es Hotline-Mitarbeitern, die ihre Fälle nicht innerhalb der vorgegebenen Zeit abschließen können, um die Unternehmenskennzahlen zu erfüllen.


Gibt es wirklich so viele Menschen, die auf so vielen Bühnen jederzeit Höchstleistungen erbringen können, obwohl sie nicht genügend Zeit haben? Oder sind wir Marionetten, die von ihrem Umfeld gesteuert werden, weil wir selbst nicht in der Lage sind, unsere Zeit sinnvoll zu managen? Ist es nicht vielmehr eine Unart, „keine Zeit zu haben“? Haben wir nicht vergessen, worum es wirklich geht?


Sich Zeit zu nehmen ist einfacher, als man denkt! Wenn wir innehalten und uns ehrlich fragen, was wirklich wichtig ist, wo wir einen Beitrag leisten und Mehrwert schaffen können, was uns erfüllt und was uns stresst, dann finden wir schnell einige Termine, die wir aus unserer Agenda streichen können.


Fokus, bewusste Präsenz und Abgrenzung sind Eigenschaften, die oft vernachlässigt werden. Wenn wir jedoch entsprechend handeln, sind wir in der Lage, unser Leben selbst zu steuern. Wir bringen Wertschätzung für die Themen und Menschen um uns herum auf und lernen, einfach mal innezuhalten, ein- und auszuatmen und für einen Moment nichts zu tun. Nebenbei sparen wir Geld und fühlen uns besser. Die Resonanz darauf ist Selbstbestimmung, Ausgeglichenheit und Wertschätzung von außen.

 
 
 

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